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Know your status, Teil I

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„Ich habe eine Frage“ sagt ein Junge aus der letzten Reihe. „Wenn ihr Weißen so großartig seid, warum habt ihr dann noch kein Heilmittel für HIV erfunden?“ Ich schlucke. Alle Augen sind auf mich gerichtet, ich muss irgendetwas antworten. Ich spüre das Gewicht meines neuen Verlobungsringes am Finger, die Hitze, die mir meine Arbeitskleidung unangenehm am Körper kleben lässt, und die allgegenwärtigen leichten Kopfschmerzen, überdeutlich. „Nun ja“ setze ich an, immer noch unentschlossen, was ich jetzt eigentlich dazu sagen möchte. Ich bin inzwischen die meisten Reaktionen gewohnt, habe fast immer eine Antwort, aber das hier ist wirklich neu. Die Frage des Jungen ist provokant, irgendwie bitter, aber ich kann ihn auch verstehen, ich kann seinen Gedankengang verstehen. Wir – die westliche Welt, wenn man so will – haben uns ja in der Geschichte oft genug so präsentiert, als müssten wir auf einem weißen Ross dahergeritten kommen und entsprechende Entwicklungsländer und deren Volk retten...

Awa

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Deutscher Name: Ava In Gambia seit dem: 04.01.2023 Projektstelle: The Girls Agenda Wohnort: Brikama Ava und ich lernten uns quasi virtuell im Zoom - Meeting zum Auswahlverfahren der Freiwilligen kennen. Nach einem weiteren Meeting trafen wir uns dann im realen Leben, zum Vorbereitungsseminar im Dezember in Leipzig. Was mir als erstes in diesen Tagen an Ava auffiel, war ihre beeindruckende und schöne Sammlung an Rollkragenpullovern. Außerdem fand ich sie sehr intelligent und sie schien nie irgendetwas unüberlegtes zu sagen, alles wirkte gut durchdacht. Das macht sie später sicher zu einer guten Anwältin. Uns trennen fast 10 Jahre – und mit den Monaten, die wir uns kannten, dachte ich immer wieder, dass ich ihn ihrem Alter noch lange nicht so reflektiert und offen für die Welt gewesen bin. Ava und ich kamen ja gleichzeitig in Gambia an. In diesen ersten Tagen war es wirklich schön, dass wir alles zusammen kennenlernen durften. Ich werde nie vergessen, wie wir zusammen vom Flughafen abg...

Adama

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Mein Engel, mein süßer, süßer Junge. Ich weiß, dass du das hier niemals lesen wirst, dass ich nie wieder mit dir sprechen kann. Aber irgendwie musste ich ein Ventil finden für all die Emotionen, die in mir aufkommen, seitdem du nicht mehr in meinem Leben bist. Und das ist die einzige Option, die mir einfällt. Und vielleicht würde ich mir auch gern einreden, dass meine Worte und meine Liebe für dich, dich unterbewusst doch irgendwo erreichen. Ich wünsche es mir. Alles, was ich wollte, war dir einen Kontrast zu vermitteln zu dem Alltag, den du sonst hattest, der geprägt war von körperlicher Gewalt, Rumschreien und Einschüchterung. Und das sind sehr vage Begriffe. Begriffe, die sich mit Kultur nicht mehr rechtfertigen lassen und alles mit Persönlichkeit zu tun haben. Ich musste den größten Teil davon immer weit von mir wegschieben und verdrängen, weil ich es sonst nie ertragen hätte. Und meine einzige Mission war dir jeden Tag zu zeigen, dass du geliebt wirst und das all deine Gefühle va...

Es war nicht alles schlecht

Schon allein deswegen, weil ich Adama für diesen Zeitraum in meinem Leben haben durfte. Und wir alle hatten am Anfang viel Spaß und nettes Zusammensein – auch wenn ich mich rückblickend immer frage, wie viel davon wirklich authentisch war, wenn es dann so schnell umschlagen konnte. Ich frage mich, warum man jemanden bei sich leben lässt, den man offensichtlich nicht dort haben will und innerlich ablehnt. Aufgrund von Persönlichkeit, von zwischenmenschlichen Beziehungen und anderen Ansichten. Mir fallen Gründe ein, warum ich nie gebeten wurde zu gehen. Ich bin mir sehr sicher, zu verstehen, worum es hier wirklich ging. Und auf sachlicher Ebene kann ich es auch nachvollziehen. Auf persönlicher Ebene ging das alles auf die Kosten meiner mentalen Gesundheit. Ich habe oft daran gedacht, meine ersten Einträge über diese Familie wieder zu löschen. Weil es mir aus heutiger Sicht so falsch und grotesk vorkommt, was ich dort meinte zu erleben. Und wie ich alles geschrieben habe – jetzt liest e...

Glückliche und unglückliche Zwischenfälle

Der Brief Tobaski, Tag 3. Ich war mit Fatou  Jobe , ihrer Schwester und einer Freundin unterwegs. Wir hatten uns alle schöne Kleider angezogen, Haare ge flochten , gingen im Dorf spazieren, hörten Musik auf unseren Handys, wie das immer so war. In dieser Nacht war wahnsinnig viel los, die Straßen waren voll, die Stimmung war großartig. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin in dem goldenen Kleid, das Fa tou Jobe mir geliehen hatte, und ich genoss meine Gesellschaft. Wir waren seit ein paar Stunden unterwegs und besuchten Freunde und entfernte Cousins. Gerade saßen wir im Wohnzimmer von E brima Gassama , einem Freund von Fa tou Jobe und mir, und tranken Limonade. Es lief Musik, und ich unterhielt mich angeregt mit einem anderem Gast, einem Lehrer, über mein HIV – Aufklärungsprojekt. Dann erhielt ich eine kryptische Sprachnachricht von Theresa. Ich hörte sie mir zweimal an, aber wurde nicht schlau daraus. Es ging um irgendeinen Brief, den sie und Ava erhalten hätten. Es klang ernst. ...